Eddy Scharf – Porträt eines Pokerveteranen

Teil 2. Flugschule und Vegas

Die Luft in Goodyear ist trocken und heiß. 355 Tage im Jahr brennt die Sonne vom cyanfarbenen Himmel des amerikanischen Westens. In unmittelbarer Nähe zur Metropole Phoenix gelegen, werden im „Airline Training Center Arizona“ (ATCA) die Nachwuchspiloten der Lufthansa ausgebildet. Gemeinsam mit einem Freund bewirbt sich Eddy Scharf bei der Kranich-Airline. „Mein Kumpel hat damals in der Zeitung von der Ausbildung gelesen“, erzählt Eddy Scharf. Sein Freund wird abgelehnt („er ist heute CEO eines großen Unternehmens“), Eddy schafft den Sprung in den elitären Kader der Lufthansa. Nachdem er die theoretische Ausbildung in Bremen hinter sich gebracht hat, soll er nun in Goodyear, wenige hundert Meilen von der mexikanischen Grenze entfernt, das Fliegen lernen.

Vielleicht gibt es Gemeinsamkeiten beim Fliegen und pokern: die Freiheit, das kalkulierte Risiko. Eddy Scharf spürt keine Nervosität, als er die „Bonanza Beechcraft“ zum ersten Mal in den Himmel des amerikanischen Westens steuert. Unter dem Cockpit der einmotorigen Maschine – 8,38 Meter breit, Spannweite von 10,21 Meter – erstreckt sich dem Flugschüler ein gigantisches Panorama. Wie eine Marslandschaft schieben sich die staubig-roten Red Rock-Formationen Arizonas am Boden entlang. Die Flüge sind die Höhepunkte der Ausbildung. „Der Drill war hart“, erinnert sich Eddy Scharf. Neben der Praxis büffeln die angehenden Piloten Flugpläne und Luftraumkarten im schmucklosen Haupttrakt des Regionalflughafens, ein Flachdach-Gebäude. Für die spärliche Freizeit gibt es Schwimmbäder, Tennisplätze und einen Basketball-Court.

In der Freizeit wird gepokert. Und Eddy gewinnt. „Piloten sind schon recht durchschaubar“, sagt Eddy Scharf. Seine Gegner wollen nicht mehr gegen ihn antreten. Eddy zieht es in die fünf Autostunden entfernte Glitzermetropole Las Vegas. Der Mitzwanziger setzt sich an die Tische der klimatisierten Casinos, in denen scheinbar die Zeit gefriert. Die Soundkulisse aus klappernden Chips, gedämpfter Unterhaltung und dem monotonen Klingeln und Bimmeln der Spielautomaten zieht Eddy Scharf in den Bann. Er spielt Black Jack, Limit Hold’dem und Stud.

„Wir sind damals ins alte Golden Nugget und ins Tropicana“, erzählt er. Die Partien sind hart, obwohl es noch wenig Literatur über richtige Strategien, Odds und Outs gibt. „Das war eine Zeit in der manch einer glaubte, Ass-König ist gegen jedes Paar 80-prozentiger Favorit“, lächelt Eddy, der die Ausbildung in Goodyear als die glücklichste Zeit seines Lebens bezeichnet. An den Wochenende jetten die Flugschüler nach Mexiko, Hawaii oder eben Las Vegas. Geflogen wird Business Class. „Wir haben damals so richtig schön auf dicke Hose gemacht“, grinst Eddy.

Doch die Zeit vergeht wie im Flug. Schon bald darf Eddy Scharf eine zweimotorige „Beeach Baron“ steuern. Bald beherrscht er den Anflug auf die Landebahn in einem Winkel, wie auch große Jets gesteuert werden. Doch die Piloten üben auch Kunstflug-Manöver. „Phänomenal gut“, erinnert sich Eddy Scharf, sei diese Zeit gewesen. Zweieinhalb Jahre nach seiner Ankunft in Goodyear dreht Eddy Scharf mit einer schweren 727 Platzrunden über Roswell. Und kehrt schließlich nach Deutschland zurück. Er ist nun Pilot.

Eddy Scharfs Leben und die WSOP

Die Arbeit für die Lufthansa ist für Eddy Scharf ein Hauptgewinn. Er verdient gut, der Job macht ihm Spaß. Später fliegt er auch für die Schwestergesellschaft Condor. „Das waren zwei Jahre Dauerurlaub“, sagt er mit einem Lächeln. Die Malediven sind eines der Ziele des Kölner Piloten, er fliegt auch nach Rom oder Cancun – „dort hatten wir dann teilweise zwei Wochen Aufenthalt“, erzählt Eddy. Frau und Kinder nimmt er mit, die Familie steht am Strand um zu Winken, während Eddy für ein paar Stunden zu einem der wenigen Inlandsflüge aufbricht. Der Rest ist Urlaub am Meer.

Das Pokern wird für Eddy Scharf immer mehr zu einem ernst zu nehmenden Hobby, auch in Deutschland. Es ist eine Zeit, in der die Szene durchwirkt ist von zwielichtigen Personen: Zuhälter und Autoschieber sitzen mit Eddy Scharf am Tisch des Casinos in Wiesbaden, aber auch Anwälte und Restaurantbesitzer. Es sind die goldenen Zeiten des Spiels. Beim Cash Game zieht das Casino zwar ein hohes Rake ein, spendiert dafür bei den Turnieren ein fettes Overlay. Literatur über die richtige Strategie, über Odds and Outs, die richtige 3-bet-Frequenz, Polarizing oder Triple-Barrel-Merging, gibt es damals kaum. Es wird wild gezockt, stolz wie aufgescheuchte Gockel führen sich die Männer am Tisch auf. Die Luden haben Geld – „und wirklich geglaubt, sie würden den Tisch beherrschen“, sagt Eddy Scharf mit einem milden Lächeln.

Es zieht den gelernten Piloten nun auch zurück über den Atlantik und damit ins Mekka des Glücksspiels, wo Poker den Stellenwert hat wie in Deutschland Skat oder Kegeln. Ende der 90er Jahre verbringt Eddy Scharf seinen Urlaub in den USA und nimmt erstmals an den Turnieren der World Series of Poker teil. Es ist eine Zeit, in der alte Männer mit Cowboy-Hüten an den Tischen in Binion’s Horseshoe-Casino sitzen. Wer Poker spielt, den zieht es zu dieser Zeit an dieser Zeit an die Freemont Street, in die Altstadt von Las Vegas, fernab vom Strip mit seinen glänzenden Mega-Casinos. Wenn einer der gegerbten Haudegen raist und ein anderer abermals erhöht, hat der bombensicher ein Monster auf der Hand. Die Generation der Milchgesichter, die Kapuzenpullis tragen und coole Kopfhörer von beats (und die einige Jahre später mit A 6 eine 6-bet annoncieren werden) sind noch im jungen Teenager-Alter und schauen mit ihren Daddys die ersten Fernsehübertragungen der World Series of Poker.

Eddy Scharf spielt und wohnt im Binion’s, die Zimmer sind altmodisch eingerichtet wie in den Las Vegas-Filmen der 70er Jahre. Tagesdecken mit Blumenmuster liegen auf den Betten, daneben Schirmlampen wie auf Omas Nachttisch. Doch in seinem Zimmer hält sich ein Las Vegas-Tourist ohnehin nicht auf. Eddy Scharf spielt Turniere für ein Buy-in von 2000 oder 5000 Dollar. „Etwa 100 Spieler haben damals an den Turnieren teilgenommen“, erzählt er. Doch im Gegensatz zu Wiesbaden, wo sich die geistlosen Zuhälter zum Zocken treffen, ist das Feld in Sin City stark. Eddy Scharf verliert viel Geld – und kommt in den darauf folgenden Jahren dennoch wieder.

Das letzte Turnier, zu dem Eddy Scharf im Jahr 2001 antritt, ist ein Limit Omaha-Turnier mit einem Buy-in von 1500 Dollar. Eddy Scharf hat sich, wenige Monate bevor Terroristen in New York gekaperte Jumbos ins World Trade Center steuern, im Bellagio eingemietet, jenem Megatempel, dessen Wassersäulen bis zu 150 Meter in die Höhe schießen. Sein Kumpel ist zur Hälfte am Gewinn beteiligt. Am Ende bleiben 35.000 Dollar übrig. „Das waren für mich damals dreieinhalb Monatsgehälter, eine Menge Geld“, sagt er. In Deutschland interessiert sich niemand für seinen Titel, auch nicht das Finanzamt. 2001 ist das Jahr, in dem der FC Bayern die Champions League gewinnt, Michael Schumacher ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere und verteidigt mit Ferrari den Weltmeistertitel. Aber Poker?

Zwei Jahre später kann Eddy Scharf seinem Triumph wiederholen. Er kassiert 63.300 Dollar für seinen zweiten Sieg beim Limit Omaha. Auch 2003 nimmt die Welt außerhalb von Las Vegas nur wenig Notiz. Bis einige Tage später ein leicht übergewichtiger Buchhalter die Pokerwelt ins Wanken bringen wird.

Chris Moneymaker aus Atlanta sitzt mit einer verspiegelten Oakley-Sonnenbrille und grimmigem Gesichtsausdruck am Finaltisch des Main Events der World Series of Poker. Er hat sich für 39 Euro im Internet für das Turnier qualifiziert. Ihm gegenüber sitzt Sam Farha, ein Poker-Veteran und berühmter High Stakes-Pro, der Goldkettchen trägt und ein fliederfarbenes Hemd unterm schwarzen Jacket. Das Heads-up-Match wogt hin und her. Moneymaker blufft Farha zunächst aus einer Schlüsselhand. Am Ende gewinnt der vermeintliche Underdog mit gefloppten Two Pair gegen Farhas Top Pair. Als Moneymaker die Arme zu Sieg in die Höhe reckt, schiebt Farha seine Zigarette fassungslos von einem Mundwinkel in den anderen.

Auch Eddy Scharf merkt, dass sich etwas dreht im Poker-Kosmos.

Hinterlasse einen Kommentar