Eddy Scharf – Porträt eines Pokerveteranen

Teil 1 Jugend

Eine Holzeisenbahn auf einem schaukelnden Schiff – an vielmehr erinnert sich Eddy Scharf nicht. Der Junge aus Köln ist zwei Jahre alt, als seine Familie vom Hafen in Southampton die Reise über den Atlantik antritt. Es sind die 50er Jahre, Eddys Vater hat Arbeit gefunden in Guelph. Ein Segen für die Familie. Der Junge akklimatisiert sich schnell in der kanadischen Mittelstadt 100 Kilometer südwestlich von Toronto. Alleine der Schulweg ist ein Abenteuer wie aus einer Geschichte von Astrid Lindgren: Treibsand im Sommer, eine zig Meter hohe Schneedecke im Winter – „Schule in Kanada war einfach geil, wir Kinder hatten Narrenfreiheit“, erinnert sich Eddy. Wenn die Pausenglocke ertönt, rennen die Kids auf den Schulhof, schnappen sich Schläger und Baseballhandschuh oder einen Football, um sich sportlich zu messen. Eddy dagegen ist dem Nationalsport des Landes verfallen. „Eishockey in Kanada“, sagt er, „das ist wie jeden Tag Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland.“ In den Stadien gehe es zu wie beim Rosenmontagszug. Ohne Krawalle.

Es geht den Scharfs gut, sie haben sich in einem modernen Leben eingerichtet. Während sich in Deutschland zu dieser Zeit die Zaungäste an den Schaufenstern der Elektronikgeschäfte drängeln, um einen Blick auf das Schwarz-Weiß-Programm zu werfen, steht im Wohnzimmer der Familie längst ein Farbfernseher. Guelph ist in den 50er Jahren die erste nordamerikanische Stadt mit Kabelfernsehen. Der Sender „MacLean Hunter Television“ überträgt bereits Anfang der 50er Jahre die Krönung von Queen Elizabeth in der Westminster Abbey.

Und Eddy ist längst ein typisches Kind des nordamerikanischen Kontinents. Deutschland ist fern: tausende Kilometer weit, auf der anderen Seite des Atlantiks, aber auch gefühlt. Die Verbindung in die Heimat ist dünn. Nur einmal in der Woche muss er zum Deutschunterricht. Grammatik pauken, das ist die ein einzig lästige Pflicht im Leben des Jungen. Doch die unbeschwerte Zeit ist nicht von Dauer. Als Eddy zwölf Jahre alt ist, beschließt die Familie, nach Deutschland zurückzukehren. Das Ziel dieser Reise zurück in die Vergangenheit ist Köln.

Der Kulturschock ist hart für den Eddy: „Ich habe damals gedacht, ich komme ins Mittelalter“, erzählt er. Während der Zwölfjährige an der kanadischen High School mit den anderen Jungs Go-Karts baut, stehen beim Werken in Köln Emaille-Arbeiten auf dem Unterrichtsplan. Eddy besucht die Volksschule an der Baadenberger Straße in Ehrenfeld. In den Pausen bilden die Schüler einen Kreis, um gemeinsam das Pausenbrot zu essen. Zu dieser Zeit umweht noch kein liberaler Geist die Rhein-Metropole. Eddy ist der Ausländer in Köln. Er trägt Jeans, während die anderen Kinder in Lederhosen gezwängt werden, den Schulranzen auf dem Rücken. „Und die dachten, ich wäre der Uncoole!“, wundert sich Eddy. „In Deutschland habe ich gelernt, dass Kinder zwischen 13 und 15 Uhr nicht spielen dürfen“, erzählt er: Mittagsruhe. Wer sich daran nicht hält, bekommt es mit grantigen Omas und Opas zu tun, schimpfend, die Ellbogen auf dem Fenstersims abgestützt.

Seine Mundwinkel ziehen sich noch heute widerwillig nach unten, wenn er sich an seine Jugendtage erinnert.

Fast ein halbes Jahrhundert ist diese Zeit her. Eddy Scharfs schwerer schwarzer Mercedes schiebt sich zweimal um den Block. Es ist ein sonniger Mai-Tag, doch das Großstadtdickicht der Kölner Innenstadt treibt Deutschlands vielleicht bekanntesten Poker-Spieler in den Wahnsinn. Nach endloser Suche findet der Kölner schließlich einen Stellplatz auf dem Bürgersteig. Wenig später fällt der Stress von Eddy Scharf ab. Er sitzt nun in einem Biergarten an der Weißenbergstraße und bestellt sich ein Weizenbier. Eddy Scharf trägt das weiß-blaue Sweatshirt eines Segelschiff-Kapitäns, eine schicke Uhr, er könnte ein Darsteller aus einem Beck’s-Werbespot sein, der in eine weichgezeichnete Zukunft schippert, erleuchtet von Sonnenschein. Doch das Bild von einer ruhigen See passt nicht. Eddy Scharf ist Pokerspieler. Das bedeutet Extreme, Höhen und Tiefen. Wenn überhaupt ist er der Steuermann eines Dreimasters bei Windstärke 12, der sich möglichst lange auf einem Wellenkamm hält, um doch unweigerlich ins Tal hinunter zu rauschen.

Wo genau auf der Welle Eddy Scharf derzeit segelt, ist schwer zu sagen. Er ärgert sich über das Finanzamt, mit dem er im Clinch liegt, dem Kampf aus dem Weg geht er nicht. Das ginge auch gar nicht. Eddy Scharf ist zweifacher Bracelet-Gewinners bei der World Series of Poker, man könnte auch sagen: zweifacher Weltmeister. Und wer bei der WSOP antritt, so heißt es, der zieht in den Krieg.

Der Weg an den Pokertisch war vorgezeichnet. Eddy Scharf ist ein notorischer Spielers, geprägt von einer Familie mit Spielern. Ob Monopoly, „Mensch ärgere Dich nicht“ oder Karten – abends sitzen Eddy, die Mutter und die Geschwister zusammen am Tisch und bekämpfen sich mit aller nach den Regeln erlaubten Ernsthaftigkeit. „Wir sind eine Spielerfamilie“, sagt er ohne Umschweife.

In der ersten Folge der „Poker-Schule“, die der Fernsehsender DSF ab 2006 produziert, sagt Eddy Scharf als Gastkommentator gleich zu Beginn: „Andere Leute haben sonntags Kaffee und Kuchen ausgeteilt, wir haben die Chips verteilt, der grüne Filz wurde ausgelegt und man hat versucht, die Verwandtschaft über den Tisch zu ziehen.“ Gespielt wird in der Familie Scharf auch damals schon um Einsätze. „Ein Onkel schuldet mir heute noch 160 Mark“, wird Eddy Scharf in einem Interview zitiert. Beim Boccia um 50 Pfennig pro Runde verdoppeln die Rivalen solange den Einsatz, bis Eddy 160 Mark gewonnen hat. Er ist 17 Jahre alt damals, 160 Mark sind viel Geld für ihn. Der Onkel zahlt nicht, das Verhältnis ist seitdem gebrochen.

Den ersten ernsthaften Kontakt zum Poker hat Eddy Scharf schließlich im Tischtennisverein, beim SC Pulheim. Gespielt wird sporadisch, 5-Card-Draw. Bei der Bundeswehr verfeinert er seine Skills am Kartentisch: Er ist stationiert in Faßberg, einem Kaff in der Lüneburger Heide, das in den 30er Jahren durch den Bau eines Fliegerhorstes entstanden ist. 15 Monate muss Eddy Scharf dort dienen. Er ist der Barkeeper in der Mannschaftskantine, ein Job mit Vorteilen. Nur die Unteroffiziere haben Zugang zu den Räumen. Gespielt wird neben Skat auch in Faßberg 5-Card-Draw, die Cowboy-Variante des Pokers, bei dem die Bluff-Elemente einen wichtigen Teil der Strategie ausmachen. Das Spielgeschehen ist durchaus ernst. „Da ist schon so mancher Monatssold über den Tisch gegangen“, erzählt der Kölner.

Das er in einem Fliegerhorst stationiert ist, ist kein Zufall. Seinen Ausbildungsvertrag mit der Lufthansa hat er zu der Zeit schon in der Tasche. Das Fliegen wird eine der wichtigsten Konstanten im Leben von Eddy Scharf. Es geht für ihn zurück nach Nordamerika.

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